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Corona und die Chance klassischer Medien

Überforderung, Verunsicherung, Angst: Jetzt sind die Medien gefragt.

Social Media beschäftigt. Klassische Medien suchen nach ihrer Bestimmung. Es ist 2018 und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble spricht zum Tag der deutschen Einheit von neuen Freiheiten. Er sagt: „Wir sind mit der ganzen Welt verbunden – ohne oft noch unser Gegenüber wahrzunehmen. […] Unter der unendlichen Fülle von Möglichkeiten schwindet die Verbindlichkeit. Freiheit kann überfordern, wir neigen zu Übertreibungen. Es braucht deshalb Selbstbeschränkung, Maß und Mitte. Der Mensch ist auf Bindungen angewiesen. Er lebt in gesellschaftlichen Beziehungen. Die Freiheit des Einen begrenzt die des Anderen.“

Man gewinnt den Eindruck, dass die von Schäuble genannten Übertreibungen auch vor den Medienschaffenden nicht halt machen. Dies lässt sich unter anderem mit der Schnelllebigkeit der Medienbranche begründen, die mit der Digitalisierung einhergeht. Ob Rundfunk oder Zeitung, der Druck ist enorm. Dies hat Auswirkungen auf das Tun und Handeln von Journalisten: Es wird weniger recherchiert. Es wird weniger rückversichert. Es gibt zu viele Schnellschüsse. Und das ist ein Problem. Journalistische Standards können so nicht mehr garantiert werden – ein Befund, der auf Social Media zutrifft, der sich aufgrund der Entwicklung aber auch auf die klassischen Medien übertragen lässt.

Zu diesen Standards zählen auch zwei weitere Aspekte:

  • „Früher“ gab es noch den Begriff des Gatekeepers, also dass Journalisten letztendlich die Schleusenwärter für Nachrichten sind.
  • Und es gab „früher“ auch Nachrichtenwerte, die man als wissenschaftlich fundiert angenommen hat.

Der amerikanische Journalist Rosen hat dies bei seiner Befragung deutscher Journalisten ebenfalls festgestellt. Er sieht die Rolle der Journalisten als Gatekeeper schwinden. „Heute sind sie nur noch eine Quelle unter vielen. Ihre Tätigkeit besteht zu einem nicht geringen Teil darin, über die Manöver herrschender Eliten zu berichten.“ Je mehr das Vertrauen in diese Eliten schwinde, desto veralteter erscheine diese Art des Journalismus. Neu seien dann soziale Netzwerke, in denen sich Gleichgesinnte müheloser miteinander austauschen könnten – und zwar durchaus unter Ausschluss der Presse. Dieser Trend sei in Amerika weiter fortgeschritten.

In der veränderten Medienwelt, in der der Druck und die Schnelligkeit erhöht sind, nutzen Journalisten häufiger produzierte Materialen aus den sozialen Netzwerken. Wir müssen feststellen, dass manche Medien das übernehmen, weil sie gar nicht mehr die Chance haben, Videos selber zu produzieren. Demokratietheoretisch ist das fragwürdig.

Ausgehend vom unterschiedlichen Nutzungsverhalten der Menschen bezüglich der Medien wie auch der Inhalte folgt eine Konsequenz, die Ministerpräsident a.D. Peter Müller, Richter am Bundesverfassungsgericht, mit der „Fähigkeit zur Sekundärkommunikation“ bezeichnet. Müller sagt: „Man kann sich nicht mehr austauschen. Früher hat jeder die Tagesschau geguckt und dann hat man am nächsten Tag darüber geredet – das gibt es heute nicht mehr. Der gemeinsame Bestand an Information als Grundlage des demokratischen Diskurses schwindet.“

Als Folge sieht er ein Auseinanderdriften der Gesellschaft:

  • Wenn es keine gemeinsame Basis mehr gibt,
  • steigen die zentrifugalen Kräfte,
  • steigt das Risiko des Aneinander-Vorbeiredens,
  • steigt das Risiko des Sich-Missverstehens.

Das ist ein wirkliches Problem.

In einer digitalen Informationsgesellschaft, in der eine Dauerberieselung mit eben jenen personalisierten Informationen stattfinden kann, liegt die Vermutung nahe, dass eine Flut negativer Informationen eine gewisse Ohnmacht erzeugt und sich der Nutzer von Informationen abwendet. Er schreckt vor der Informationsflut zurück, fühlt einen Überdruss: Eine Masse an Informationen wird als Hindernis für eine fundierte Information und als ein Mehr an Arbeit angesehen, um die Fülle an Informationen zu sortieren und verarbeiten zu können. Auch dadurch droht das Entstehen von Filterblasen, weil eine Reizüberflutung dazu führt, sich nur noch wenigen Kanälen und Informationen zu öffnen. Die Kombination aus Überforderung und Verunsicherung kann auch eine gewisse Aggressivität auslösen. Eine aggressive Grundhaltung einer Gesellschaft sucht sich ihr Ventil, die Regierung gilt dabei als ein potenzielles. Vor diesem Hintergrund ist der Ruf nach Orientierung in einer Mediengesellschaft nur allzu nachvollziehbar. Hierzu bieten sich die klassischen Massenmedien geradezu an. Um Niklas Luhmann zu zitieren: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien.“ Nur selten allerdings ist überliefert, dass dies nur ein Teil des gesamten Zitats ist. Der Zusatz lautet: „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.“

Genau darin liegt die Chance für klassische Medien gerade in einer Krisenzeit wie der Corona-Pandemie, nämlich Vertrauen zurückzugewinnen, das sie im Rennen um Klicks und Aufmerksamkeit fahrlässig verspielt haben. Und zwar mit einer objektiven Berichterstattung frei von Ideologien. Mit einer Berichterstattung frei von persönlichen Meinungen. Orientiert an der Wahrhaftigkeit, sorgfältig recherchiert. Mit dem Abbilden der Perspektiven aller Beteiligten. Kritisch hinterfragend, denn auch das ist dringend nötig in diesen Zeiten, in der der Wiederaufbau der Bundesrepublik eingeleitet werden muss. Dieser wird nur mit einer funktionierenden Demokratie und dem Ringen um die besten Lösungen gelingen. Hierzu sind kontrollierende und hinterfragende Medien von essenzieller Bedeutung.

Im Grunde gibt COVID-19 den klassischen Medien die Chance, aus dem Hamsterrad des künstlichen Schlagzeilenmachens rauszukommen und sich wieder auf das zu besinnen, was sie ausmacht: die Arbeit nach dem Pressekodex. Den gibt es nämlich für Social Media nicht

Dieser Text ist ein zusammenfassender Ausschnitt aus der Dissertation „Algokratie – eine Gefahr der Demokratie – Konsequenzen für die Regierungskommunikation“ von Dr. Thorsten Klein. Er hat sich darin mit den Konsequenzen der Algorithmen für die Kommunikation, für die Medienlandschaft sowie für die Mediengesellschaft auseinandergesetzt. Zu finden ist sie unter https://www.zhb-flensburg.de/?id=28390.

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